Gérard Schreiber, Hubert Keutiens, Joseph Goffinet, Joséphine Lejeune, Nikolaus Schaus, Peter Kerren, Odilon Wilkin – sieben zunächst zufällig ausgewählte Personen, die gemeinsam haben, dass sie aus der Provinz Lüttich kamen und den Zweiten Weltkrieg als Folge von Handlungen von Akteuren des NS-Regimes nicht überlebt haben.
Es handelt sich um heute wenig bis gar nicht bekannte Menschen, die folglich auch wenigen in Erinnerung sind. Die Ausstellung #StolenMemory, die im Herbst 2022 in der Provinz Lüttich gezeigt wurde, war Anlass, diese Schicksale in Erinnerung zu rufen.
Um das Los dieser Personen in Erinnerung zu rufen, braucht man zunächst Fakten. Was ist passiert? Wo kamen diese Menschen ums Leben? Unter welchen Umständen? Wer war Zeuge? Diese Fragen beschäftigten die Vervierser Behörden, allen voran den Prokurator des Königs und dessen Dienststelle, unmittelbar nach dem Krieg.
Um die 6 000 Schicksale waren ungeklärt, Todesumstände unbekannt, und so machten sich die Behörden an die kleinteilige Suche. Die Gendarmerie, manchmal mit Hilfe des Roten Kreuzes, schrieb tausende Zeugen an. Oft dauerte es, ehe deren Adressen ausfindig gemacht waren.
Die Mehrheit der Akten betrifft Militärangehörige. Hier war das Schicksal meist recht schnell aufgeklärt, da ehemalige Kameraden Auskunft geben konnten. Oft schuf auch eine Abschrift der Mitteilung des zuständigen Kommandeurs über den Tod des Soldaten die traurige Gewissheit. Doch das war nicht immer so.
In einigen Fällen bestätigten ein vorliegendes Todesurteil und ein Bericht über die vollzogene Hinrichtung den schlimmsten Verdacht. Unter den davon Betroffenen befanden sich Widerstandskämpfer, Refraktäre, politische Gefangene und einige Unglückselige. In manchen Fällen konnte der Authentifizierungsdienst für Kriegsopfer in Lüttich Gewissheit verschaffen.
All diese Akten sind einige Monate nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 geborgen worden. Bernard Wilkin vom Staatsarchiv in Lüttich hat die Initiative ergriffen, diese Akten zu verzeichnen. Es soll daraus noch ein gemeinsames Projekt zwischen dem Staatsarchiv und dem Zentrum für Ostbelgische Geschichte entstehen.
Gemeinsam ist den hier erläuterten Schicksalen aber auch, dass sie entsprechend der genannten Quellen dargestellt werden. Aufschlussreiche, ergänzende Informationen konnten die Archive des Kriegsopferdienstes in Brüssel liefern.
Dieser bewahrt die Akten von Kriegsopfern bzw. deren Nachkommen auf, die nach dem Krieg einen Antrag zum Erhalt eines bestimmten Status stellten, wie z. B. Politischer Gefangener, Widerständler gegen den Nationalsozialismus, Refraktär, Dienstverpflichteter der deutschen Armee. Dieser jeweilige Status war oft mit einer finanziellen Entschädigung verbunden. Doch ging es den Betroffenen oder deren Nachkommen auch, und oft sogar in erster Linie, um eine offizielle Anerkennung des erlittenen Leids, der erfahrenen Ungerechtigkeit bzw. der heldenhaften Taten.
So war die im September und Oktober 2022 in Lüttich, Sankt Vith und schließlich in Eupen stationierte Ausstellung #StolenMemory eine gute Gelegenheit, bereits vorab exemplarisch einige dieser Schicksale aus dem Bestand vorzustellen und damit der Erinnerung zugänglich zu machen.
Doch kann sich jeder vorstellen: Ob bekannt oder nicht, diese Menschen wurden genauso vermisst und hinterließen genau solche Lücken wie prominentere Widerstandskämpfer.
Dies gilt auch für jene, die nicht in Schwarz-Weiß-Schemata passen und gegebenenfalls schwierige Seiten hatten – wie etwa Odilon Wilkin. Denn Ambivalenz und verschiedene Grauschattierungen durchziehen den gesamten Quellenbestand. Kriegsfreiwillige findet man dort ebenso wie Deportierte, gegen ihren Willen Einberufene oder Kriminelle – die ganze Bandbreite einer Gesellschaft.
Damit verspricht der vorliegende Bestand, künftig noch weitere Einblicke in die sehr unterschiedlichen Kriegserlebnisse zuzulassen. Wir hoffen, mit diesem ersten Schritt des Projekts hier einige ungeklärte Schicksale zu beleuchten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Denn erst, wenn konkrete Fakten bekannt sind, kann auch die Erinnerungsarbeit einsetzen. ¹
Konzept: Philippe Beck, Nicholas Williams
Archivdokumente: Staatsarchiv in Brüssel und Lüttich
Photos: Philippe Beck
Diese Website fußt auf der Broschüre Gerettete Erinnerung, die 2022 als Ergänzung zur Ausstellung #StolenMemory erstellt wurde, und die im Herbst 2022 an folgenden Orten der Provinz Lüttich zugänglich war:
Lüttich: 01. – 14. September 2022
Sankt Vith: 15. – 29. September 2022
Eupen: 30. September – 12. Oktober 2022
Mehr Informationen zu der Ausstellung der Arolsen Archives gibt es unter: stolenmemory.org
Die auf unserer Website „Gerettete Erinnerung“ dargestellten Schicksale sind nicht Teil der Ausstellung #StolenMemory.